Die Entwicklung der Automobilfirma Citroën von ihren Anfängen bis 1939

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Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Magister der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“


1 Einleitung

Diese Arbeit soll die Geschichte und den Aufstieg des Automobilherstellers Citroën von seinen Anfängen in der metallverarbeitenden Industrie zu Beginn dieses Jahrhunderts, bis zur Etablierung am Automobilsektor als größter französischer Hersteller, sowie die finanziellen Probleme und die darauf folgende mehrheitliche Übernahme durch den Hauptgläubiger in der Zeit nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise darstellen.
Dazu versuchte ich teilweise, die Entwicklung des Unternehmens mit derer anderer Automobilerzeuger, bzw. der gesamten Branche in Europa oder den USA zu vergleichen. Weiters bemühte ich mich, die Hintergründe für die Einführung der Fließbandarbeit in Europa und die damit verbundenen Probleme mit der Arbeiterschaft, sowie die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und einiger negativer Umstände im Unternehmen, was zum finanziellen Ruin im Jahr 1934 führte, darzustellen.

Die Absicht war, im deutschsprachigen Raum nur wenig bis gar nicht bekannte französiche Literatur über dieses Thema zu bearbeiten und die Geschichte dieses Unternehmens möglichst breit, aber doch übersichtlich und gerafft darzustellen.
Die Themenwahl ist vor allem im persönlichen Interesse an dieser Automobilmarke und den Produkten selbst, aber auch in der auffallenden Fehlerhaftigkeit von zahlreichen deutschsprachigen Publikationen was unternehmensrelevante Daten und Ereignisse betrifft, begründet. Vielleicht ist diese Arbeit den Importeuren dieser Automobile im deutschsprachigen Raum bei der Erstellung von Texten und Publikationen über die Unternehmensgeschichte hilfreich. Interessierte, die sich mit verschiedenen Themen, welche hier behandelt werden, intensiver auseinandersetzen wollen, sei die Literatur welche am Ende der Arbeit aufgelistet ist, empfohlen.
Motivierend war weiters, die geschichtliche Entwicklung eines Unternehmens darzustellen, über deren Produkte zwar zahlreiche Werke erhältlich sind, über die Unternehmensgeschichte selbst aber nur vereinzelt Bücher in deutscher Sprache existieren und der Aufstieg eines der ältesten noch existierenden europäischen Automobilfabrikanten bei uns deshalb nur wenig bekannt ist.


2 Die Herkunft und die Vorfahren der Familie Citroën

 Die Vorfahren von André Citroën stammen aus Amsterdam. Im Jahr 1806 heiratete Roelof, damals noch ohne offiziellen Familiennamen, die Tochter eines Schmieds, Rosje. Diese verdienten ihren Lebensunterhalt als fahrende Fruchthändler in den Dörfern um Amsterdam. Laut Wolgensinger1 waren sie auf den Verkauf von exotischen Früchten spezialisiert. Bei einer Volkszählung erhielt Roelof, einem Erlaß der französischen Besatzungsmacht folgend, den Nachnamen Limoenman, in Anspielung auf seinen Beruf.
 Roelof Limoenman starb bereits im Alter von 36 Jahren und hinterließ zwei Kinder, Barend, damals sechs Jahre alt, und Sara, welche zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre alt war.
 Barend Limoeman erlernte das Juwelierhandwerk. Im Alter von zwanzig Jahren lernte er Netje Rooseboom kennen, Tochter eines Uhrengroßhändlers. Der Vater von Netje machte eine Heirat der beiden davon abhängig, daß Barend seinen Nachnamen auf eine gefälligere Version änderte. Als 1831 Barend Limoenman und Netje Rooseboom heirateten, ließ dieser seinen Familiennamen in Citroen umändern. Citroen, damals noch ohne Trema geschrieben, bedeutete auf holländisch Zitrone.
 Dieses Ehepaar hatte vierzehn Kinder, wovon jedoch die beiden letzten in früher Kindheit starben. Von den sechs Söhnen lernten fünf einen Beruf wie Goldschmied, Juwelier oder Diamantenschleifer. Auch zwei Schwiegersöhne kamen aus diesem Metier.
Barend Citroen schickte um 1865 einen seiner Söhne, Levie, nach Warschau, wo die Familie Verwandte hatte, um dort neue Absatzmärkte für das Diamantengeschäft zu erschließen. Ab ca. 1870 wechselten die Diamantenhandelsplätze nach Südafrika, wo im Transvaal und am Kap die ersten Diamantenbergwerke eröffnet wurden. Die Gründe für diese Reise waren neben der Eröffnung der ersten Bergwerke am Kap, auch neuartige Fördermethoden, wodurch man eine Überschwemmung des Marktes befürchtete und damit verbunden einen Preisverfall.
 Levie Citroen lernte in Polen Masza-Amalia Kleinmann kennen, Tochter von Isaac-Usher und Maria-Rachel Kleinmann. Am 31. Oktober 1870 vermählte sich in Warschau Masza-Amalia Kleinmann mit Levie Barend Citroen. Zwischen 1870 und 1872 mußte das junge Ehepaar schließlich von Polen nach Frankreich, in die Seine-Metropole Paris, umgezogen sein.2
 Schweitzer schreibt in ihrem Werk .André Citroën, Pour une histoire du XX siècle. allerdings, daß Levie Citroen mit seiner Gattin erst 1873 in Paris angekommen sei.3 Man bezog dort eine Wohnung in der Rue de Chateaudun 5, im neunten Arrondissement. Im Sommer 1872 wurde ihre erste Tochter Jeanne geboren, auf welche ein Jahr später der erste Sohn Hugues folgte. Jeanne Citroën heiratete einen polnischen Bankier namens Bronislas Goldfeder, welcher ein Bekannter der Großeltern Kleinmann war, und ließ sich mit ihm in Warschau nieder.
 Zwei weitere Kinder wurden im Jahr 1874 und 1875 geboren, eine Tochter namens Fernande und ein Sohn namens Bernard. Diese beiden wurden allerdings nicht in Paris geboren, sondern in Enghien-les-bains und Montmorency, wo ihre Mutter wegen asthmatischer Beschwerden eine Sommerkur machte.4

 Am 5. Februar 1878 wurde schließlich André Gustave Citroen geboren, laut standesamtlicher Eintragung eine halbe Stunde nach Mitternacht. In der originalen amtlichen Eintragung heißt es übersetzt: .Mittwoch 6. Februar 1878, um 10.00 Uhr Vormittag, Geburtsakt des uns vorgeführten André Gustave, männlich, geboren am 5. des Monats, eine halbe Stunde nach Mitternacht, bei seinem Vater und Mutter, rue Lafitte 44, Sohn von Levie Bernard Citroën, Händler, Alter 35 und Amalia Kleinmann seiner Mutter, ohne Beruf, 25 Jahre alt, vermählt am 31. Oktober 1870 in Warschau (Polen, Rußland). Als Zeugen der Vaterschaft haben Henri Glass, Handelsangestellter, Alter 35 Jahre, wohnhaft in Paris, rue Vivienne 53 und Jean Léopold Karpeles, Handelsangestellter, Alter 38 Jahre, wohnhaft in Paris, rue Lamartine 46, gemeinsam mit dem Vater und mir Alfred Dutarte, Bürgermeister-Stellvertreter, nach der Durchsicht unterzeichnet..5

 Auch in Paris war die Familie Citroën im Diamantengeschäft tätig. Der Vater von André Citroën hatte zwei geschäftlicheVerbindungen für das Schleifen und den Handel von Edelsteinen. Die eine Verbindung reichte nach Amsterdam, zu seinem Cousin Samuel Metz, die andere nach New York.
 Als André Citroen sechs Jahre alt war, beging sein Vater, der damals unter den Pariser Diamantenhändlern sehr angesehen war, Selbstmord. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Wolgensinger glaubt diese in den wirtschaftlichen Problemen wie Preisverfall, obwohl es der Familie Citroen finanziell gut ging, aber auch in politischen Unruhen und Ängsten zu sehen. Die Kinder waren zu dieser Zeit mit ihrer Mutter an der Küste der Normandie in Trouville auf Urlaub.6
 Betrachtet man jedoch die von Schweitzer7 (wahrscheinlich auch nur auszugsweise) angeführten Besitztümer von André Citroëns` Vater, so läßt sich diese von Wolgensinger8 angestellte Theorie der wirtschaftlichen Ängste und Probleme nur schwer glaubhaft machen.

 Nach seinem Tod übernahm seine Gattin die Geschäfte und deklarierte sich als .négociante en diamants.. Nach New York gab es eine sehr wichtige, aber auch riskante Beteiligung an einem Brillanten- und Edelsteinhandel. Nach Levies Tod wurde dieses Geschäft auf einen Wert von einer Million Francs geschätzt. Levie Citroen arbeitete mit mehreren Banken zusammen, um auf allen wichtigen Edelsteinmärkten tätig sein zu können. Drei Monate nach seinem Tod wurde sein Vermögen geschätzt.
  Die Höhe der Erbschaft attestierte dem Vater von André Citroën sehr großen Reichtum. Im Jahr 1973 wird Levie Citroen in .Les Fortunes francaises au XIX siècle. mit einem Vermögen von 2,4 Millionen Francs zum wohlhabendsten Kreis der Pariser Bevölkerung gezählt, der einen Anteil von 0,2 Prozent an der Stadtbevölkerung hatte. 0,6 Prozent seines Vermögens waren Liegenschaften in Marseille, Paris und Asnières, Antiquitäten, Juwelen, Wertpapiere im Wert von 116.000 Francs von Diamantenminen, Diamanten-Förder-Anlagen und von verschiedenen Banken.9


1vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 8 ff
2vgl. ebenda
3vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 21
4vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 15 f
5vgl. CITROËN REVUE, 1995, No 12, S. 12
6vgl. WOLGENSINGER, 1992, S 20 f
7vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 27 f
8vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 20 f
9vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 27 f


2.1 Der Lebenslauf von André Citroën

 Am 1. Oktober 1885 wurde André Citroen im Lycée Condorcet eingeschult. Bei der Registrierung in der Schule wurde der Familienname Citroen erstmals mit dem Trema, also „Citroën“, geschrieben. Diese Schreibweise übernahm die gesamte Familie, nicht nur André Citroën.10
 Zu dieser Zeit machte André Citroën im Gymnasium auch seine erste Begegnung mit Louis Renault, welcher später zu seinem stärksten Konkurrenten werden sollte.
 Sein Leben ist mit dem von Louis Renault vergleichbar, welcher ebenfalls Pariser war. Im selben Alter, ebenfalls in der Schule Condorcet ausgebildet und Besitzer einiger Fabriken nahe denen von Javel. Ein Duo, welches sich gegenüber der Konkurrenz aus der Provinz, Marius Berliet und den Brüdern Peugeot, erfolgreich behauptete. Alle sind Söhne von Unternehmern, die Brüder Peugeot kommen aus der Mechaniker Branche, Renault und Berliet aus dem Textil-Bereich und Citroëns Vater war im Diamanten- und Edelsteingeschäft erfolgreich tätig.11

Im Jahr 1898 bestand André Citroën die Aufnahmsprüfung zur Ecole Polytechnique, welche er am 13. Oktober 1898 erstmals besuchte. Noch während er diese Schule besuchte, verstarb auch seine Mutter am 25. Mai 1899.
 Vermutlich auch durch diesen Schicksalsschlag bedingt, belegte André Citroën bei der Abschlußprüfung im Juli 1900 lediglich den 162. Platz, was ihm jegliche Chance auf einen Beamten-Posten verschloß.
 Im April 1900 besuchte er seine Schwester, welche in Polen verheiratet war. Dort lernte er dank seines Schwagers in Glowno, ca. 100 km südwestlich von Warschau, einen kleinen Industriebetrieb kennen. Dieser war auf die Herstellung von winkelverzahnten Zahnrädern aus Metall spezialisiert, welche üblicherweise aus Holz gefertigt wurden. André Citroën gelang es, dieses Patent zu erwerben.

 Bevor er an die Nutzung dieses Papiers dachte, absolvierte er nach Beendigung der Ecole Polytechnique seinen Militätdienst in Le Mans als Leutnant des 31. Artillerieregiments, 4. Brigade, 8. Division des 4. Armeekorps.12

 Nach Beedigung des Militärdienstes begann er mit der erfolgreichen Nutzung des erworbenen Patentes und der Fabrikation von Zahnrädern.

 Im Jahr 1907 machte André Citroën seine ersten Erfahrungen mit der Automobil-Branche. Er erarbeitete auf Wunsch eines Verwandten Paul Haarbleicher einen Plan zur Rettung der Mors-Automobilwerke und wurde schließlich sogar im Februar 1908 zum Generaldirektor von Mors ernannt.

 Am 26. Mai 1914 ehelichte André Citroën Giorgina Bingen. Sie unterzeichneten einen Ehevertrag, in welchem der eheliche Güterstand der Erwerbsgemeinschaft mit einer teilweisen Klausel der Gütertrennung und einer Verwendungsauflage der Mitgift vorgesehen war. Die Mitgift der Ehefrau wurde aus der ehelichen Gütergemeinschaft ausgeklammert.13

 Alle drei Citroën Brüder kamen im am 28. Juli 1914 ausgebrochenen 1. Weltkrieg an die Front. André Citroën und sein Bruder Hugues wurden zum 2. Regiment der schweren Artillerie eingezogen. „Dieses Regiment wurde am 1. Juli 1914 aus verschiedenen Einheiten gebildet, unter denen sich das 31. Artillerieregiment von Le Mans befand, die Einheit von André Citroën. Es wurde im Oktober 1915 aufgelöst, um zusammen mit dem 4. Schweren Artillerieregiment das 82. Regiment der Schweren Artillerie mit Traktoren zu bilden.“14

 Bernard Citroën, der bei der Musterung abgewiesen wurde, bewarb sich als Freiwilliger zu einer Kampfeinheit. Er kam schließlich zum 51. Infanterieregiment in Montmédy. Am 9. Oktober 1914 fiel Bernard Citroën in der Nähe von Servon. Bernard Citroën wurde posthum mit der Militärmedaille ausgezeichnet, dem Kriegskreuz mit Palmen. André Citroën ließ später im Wald von Servon einen Gedenkstein errichten, der noch heute erhalten ist.15

 Da der Krieg in Frankreich sehr schnell zu einem reinen Stellungskrieg wurde und Munitionsmangel herrschte, bemühte sich die Militärspitze vorerst alleine und später gemeinsam mit den dafür geeigneten Industriesparten, die Rüstungsindustrie auszubauen. Hier konnte sich auch André Citroën engagieren und bot den Militärs an, eine Granaten-Fabrik zu errichten, die täglich 10.000 Granaten erzeugen würde. Am 15. Juni 1915 war es schließlich soweit, die Granatenfabrikation in Paris begann, im August des Jahres belief sich die Tagesproduktion bereits auf 1.500 Stück.

 Am 11. September 1915 wurde die erste Tochter des Ehepaares Citroën geboren, Jacqueline. Zwei Jahre später wurde der erste Sohn Bernard, im Jahr 1919 Maxime und im Jahr 1925 Solange geboren. Solange wurde allerdings nur wenige Wochen alt.

 1918 wird bereits intensiv über die zivile Nutzung des Arreals am Seine Ufer nachgedacht. Da André Citroën bereits sehr gute Erfahrungen mit der Automobilwirtschaft machte, fiel die Entscheidung auf die Produktion von Automobilen.

 Citroën konnte durch geschickten Einsatz neuer Technologien seine Produkte am Markt behaupten und avancierte zu einem der bedeutendsten Automobilhersteller Europas.
 1924 schließlich wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, an der André Citroën einen überwiegenden Anteil des Kapitals hielt.

 Im Verlauf der Weltwirtschaftskrise fiel die weltweite Prokution von Citroën-Kraftwagen von 102.891 im Jahr 1929 auf 48.007 in 1932. Citroën Deutschland in Köln (zu hundert Prozent in Besitz der französischen Mutterfirma) mußte sogar einmal die Produktion aufgrund von Absatzproblemen stoppen.16

 Wegen hoher Schulden, verursacht durch die Weltwirtschaftskrise, aber auch die etwas übertriebene Entwicklung eines neuen Wagens, waren im Jahr 1934 die finanziellen Probleme nicht mehr abwendbar, und André Citroën mußte am 15. 12. 1934 den finanziellen Bankrott erklären.

 Am 18. Jänner 1935 wird André Citroën mit der Diagnose Magenkrebs ins Krankenhaus eingeliefert. Noch einmal kehrte er nach Hause zurück, wo er sich mit Ettore Bugatti und M. Mathis traf. Diese boten ihm ihre Fabriken zwecks Fortsetzung seiner Arbeit an. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Am 9. Mai wird André Citroën noch einmal operiert. Schließlich stirbt André Gustave Citroën am 3. Juli 1935 um 9.00 Uhr.
 Zwei Tage später wurde der Sarg von André Citroën vom Georges Bizet Krankenhaus nach Javel in die Eingangshalle transportiert und dort aufgebahrt, um den Mitarbeitern und Freunden die Gelegenheit zu bieten, von ihrem „Patron“ Abschied zu nehmen.17
 Das Grab von André Citroën, Groß-Offizier der französischen Ehrenlegion, befindet sich direkt in Paris am Cimetière Montparnasse.

 Am 31. Juli 1935 wird ein Vergleich zwischen der Firma Citroën und ihren Gläubigern endgültig angenommen. Das Unternehmen konnte durch die Übernahme der Michelins bis heute, inzwischen aber bereits im PSA-Konzern integriert, als eines der wenigen Automobile herstellenden Unternehmen, welche den Namen ihres Gründers tragen, weiterbestehen.

 


10 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S 23
11 vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 21
12 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 49
13 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S 77 f
14 WOLGENSINGER, 1992, S. 79
15 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 84
16 vgl. MIKLOWEIT, 1991, S. 55 u. 168
17vgl. SABATÈS, 1994, S. 219 f


3 Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg

3.1 Die Automobilwirtschaft Europas bis 1914

 Zwischen 1895 und 1908 kam es zu einem ersten Automobilboom. Vor allem Frankreich konnte hier einige Vorteile nutzen, was dazu führte, daß Frankreich in Sachen Automobil die weltweit führende Nation war. Für die anfängliche Vorherrschaft waren vor allem folgende Gründe verantwortlich: Zwei der ersten Autopioniere - Emile Levassor und Armand Peugeot verfügten über große metallverarbeitende Betriebe und im Vergleich zu Benz bzw. Daimler über einen guten Ruf ihrer Produkte, sowie einen großzügigen finanziellen Background. Weiters verdient das gute Straßennetz Frankreichs Erwähnung, was zahlreiche Wettbewerbe zwischen Städten ermöglichte und so der Provinz-Bevölkerung den Motorwagen bekanntmachte.

 Ein weiterer Grund für die große Popularität des Automobils in Frankreich lag darin, daß viele der ersten Autofirmen und deren Zulieferer in und um das Zentrum Paris angesiedelt waren, Frankreichs Wirtschaftsmetropole und Zentrum des Journalismus, außerdem war und ist Paris ein Umschlagplatz für Luxusgüter. 1895 etwa gab es nur 3 Produzenten, die sich den Weltmarkt teilten: Benz in Deutschland mit 135 Exemplaren und Panhard & Levassor sowie Peugeot in Frankreich mit 144 Stück.18

 Eine europaweite Wirtschaftsrezession ließ die Industrie in Europa um 1907/1908 für kurze Zeit stagnieren und markierte auch einen Wendepunkt. Bis zum ersten Weltkrieg wuchs die Branche in Großbritannien und Deutschland schneller als in Frankreich. Auch aus den USA kam eine neue Herausforderung, wo man den Massenmarkt für Automobile entdeckte und neue revolutionäre Produktionsmethoden entwickelte, was nichts daran änderte, daß Frankreich das Zentrum der europäischen Automobilherstellung bis in die dreißiger Jahre blieb.
 Henry Ford bestätigt in seinem Buch „Mein Leben und Werk“ die Vorreiterrolle der europäischen, insbesonders der fanzösischen Autohersteller vor dem ersten Weltkrieg. Ford bemerkte, daß ihm 1905 entsprechende Materialien fehlten, um die für einen Wagen nötige Kraft bei geringstem Geweicht erzielen zu können.19 Er schreibt weiters: “1905 war ich bei einem Rennen in Palm Beach. Es gab einen Riesenzusammenstoß, und ein französischer Wagen wurde vollständig zertrümmert. Wir hatten unser „Modell K“, den großen Sechszylinder, laufen lassen. Mir schien, der fremde Wagen sei zierlicher und besser gebaut als alle, die wir kannten. Nach dem Unglück sammelte ich einen Splitter vom Ventilschaft auf. Er war sehr leicht und sehr hart. (...) daß der Splitter aus einem in Frankreich fabrizierten, Vanadium enthaltenden Stahl bestünde. Wir fragten bei jedem Stahlwerk in Amerika an - keines vermochte Vanadiumstahl herzustellen.“20

 

3.2 Die Automobilwirtschaft in den USA bis 1914

 In den USA setzte der Automobilbau erst um ca. 1900 ein. Man erkannte sehr schnell, daß andere als in Europa übliche Produktionsmethoden nötig waren, um erfolgreich tätig zu sein. So wurden z.B. die Buick Automobile zwischen 1904 und 1907 bereits im Assembling-Verfahren hergestellt, bei dem ein großer Anteil der Teile von speziellen Zulieferern bezogen wurde. Ford setzte auf erschwingliche, einfach zu produzierende Automobile. Die enorme Nachfrage nach verläßlichen, billigen Autos brachte das Problem mit sich, wie man sie in großen Stückzahlen herstellen sollte. 1908 kam es zu ersten Zusammenschlüssen wie der General Motors Corporation (Buick, Olds, Cadillac u.a.), die sich vorerst hauptsächlich mit verschiedenen Koordinierungstätigkeiten beschäftigte, um wirtschaftliche Vorteile zu erarbeiten. (GM wurde von William Crapo Durant gebildet. Der Ausgang lag bei der Firma Chevrolet, die mit Mitteln von Durant finanziert wurde, welcher zu dieser Zeit bereits den Automobilhersteller Buick besaß. Durch finanzielle Probleme wurde er jedoch von der Leitung von GM ausgeschlossen. Sein Erfolg mit Chevrolet brachte ihm aber im Jahr 1915 mit Geldmitteln von Pierre Du Pont neuerlich die Führung von GM ein.21)
  Ford brachte zu dieser Zeit sein T-Modell auf den Markt. Diese und ähnliche Veränderungen der Automobilwirtschaft in Amerika begünstigten das Ansteigen der US-Produktion innerhalb eines Jahres von 44.000 auf 65.000 Einheiten im Jahr 1908.

Bis 1907 unterschieden sich die Methoden der amerikanischen Autobauer kaum von jenen der europäischen. Um 1908 setzte jedoch eine rasante Auseinanderentwicklung der beiden Kontinente ein.22

 

3.3 Die Fertigungsmethoden dieses Zeitabschnittes

 Automobile wurden anfangs sowohl in Europa als auch in Amerika in Werkstätten erzeugt. Es handelte sich bei den Produkten meist um Kleinserien, bei denen meistens an 5 bis 50 Stück gleichzeitig gearbeitet wurde. Motoren und Antriebssysteme wurden großteils zugekauft, hingegen Fahrgestelle und Karosserieaufbauten sowie sonstige Arbeiten, wie Sattlerarbeiten, wurden selbst durchgeführt. Zu einem großen Prozentsatz waren gelernte Facharbeiter tätig, die von ungelernten Kräften unterstützt wurden.
 „Noch 1910 konnten etwa dreiviertel aller Tätigkeiten in den amerikanischen Autofabriken als gelernt eingestuft werden, was dem Anteil in Europa entsprach.“23

 Jene Hersteller, die in größeren Serien fertigten, waren schon immer daran interessiert, Verfahren zu entwickeln, die der Vereinfachung und Beschleunigung des Produktionsprozesses dienten.
 So wurden bereits kurz nach 1900 die ersten kaltgepreßten Blechteile eingesetzt, oder Spezialmaschinen wie Fräsen, Drehbänke usw. angeschafft, um den Arbeitsablauf zu vereinfachen bzw. um Arbeitskräfte einzusparen.

 Die Autofabriken bestanden aus mehreren oft mehrstöckigen Gebäuden. Die Maschinen waren meist ohne Rücksicht auf die Verwendung im Produktionsprozeß angeordnet. Es gab noch keinen sachlogischen Aufbau, wie er mit Einführung der Fließbandarbeit üblich wurde. Man erkannte, daß einstöckige, eher langgezogene Fabrikskomplexe für eine Großserienfertigung besser geeignet waren als die alten herkömmlichen Gebäude. Da man in Europa hauptsächlich alte, umgebaute Fabrikshallen nutzte, konnte sich dieses Gedankengut nicht so schnell durchsetzen wie in den USA, wo man hauptsächlich neue Fabriken verwendete. Aber auch dort setzte sich das Konzept der einstöckigen Werkshalle vor 1914 nicht durch.24

 

3.4 Die Anfänge von André Citroën in der metallverarbeitenden Industrie

 Laut Wolgensingers25 reiste André Citroën am 14. April 1900 nach Warschau, um dort seine Schwester zu besuchen. Er begleitete dort seinen Schwager auf einer Geschäftsreise und entdeckte bei dieser Gelegenheit in einem kleinen Industriebetrieb die Herstellung von winkelverzahnten Zahnrädern.
 Vermutlich mit finanzieller Unterstützung der Familie, sein polnischer Schwager Bronislav Goldfeder war Bankier, konnte Citroën das Patent für die Herstellung solcher Zahnräder erwerben.26

 Der Vorteil dieser Art von Zahnrad lag darin, daß sie im Vergleich zu einer linear verlaufenden Verzahnung besser angreift und die Kraft zentrisch wirken läßt. Diese Verzahung war dadurch in der Lage große Lasten zu bewältigen und da die Zahnräder ununterbrochen in Eingriff miteinander standen, verringerten sie das Aufeinanderstoßen der Zähne, was zu einem weicheren und leiseren Lauf führte.

 Nach der Absolvierung des Militärdienstes in Le Mans begann Citroën damit, das erworbene Patent zu nutzen. Einem Interview von Mme Hinstin, welches Sylvie Schweitzer 1978 durchführte, stellten die Gebrüder Paul und Jacques Hinstin in der Nähe von Corbeil und in der rue du Faubourg Saint-Denis Lokomotivteile her. Jacques Hinstin welcher ein Schulfreund der Brüder Citroën war, stellte André Citroën ein. In diesem metallverarbeitenden Betrieb konnte Citroën somit seine ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet machen.27

 Im Jahr 1905 gründete André Citroën mit den Brüdern Hinstin und André Boas die Fa. „Hinstin Frères, Citroën & Cie“. Ein kleiner Betrieb, der Zahnräder im Winkelschnitt für Textilmaschinen herstellte. Das nötige Kapital besorgte der Bankier Paul Haarbleicher.28
 In anderen Quellen (Schweitzer29, Wolgensinger30) wird diese Firma als „Société des Engrenages Citroën, Hinstin & Cie“ genannt. Die französischen Autoren dürften hierbei wohl etwas genauere Quellen zur Verfügung gehabt haben. Hier vermischen sich die Angaben in den verschiedenen Werken. Jedoch erscheint es mir nur logisch, daß sich aus dem Angestelltenverhältnis im Jahr 1905 eine Beteiligung am Unternehmen ergab, vor allem dank des Patentes, welches André Citroën erwerben konnte, aber auch des Kapitals der Familie Citroën wegen.
 Durch anhaltende Erfolge wurde die Produktion ausgeweitet und man erzeugte verschiedenste Arten von Zahrädern, Getrieben und ähnlichen Produkten. Die Kontakte reichten sogar bis ins Ausland, zum Beispiel in die österreichisch-ungarische Monarchie, wo Skoda in Mlada Boleslav (Anm. des Autors) diese Zahnräder in Lizenz erzeugte.31

 Die Fabrik war zuerst in der rue Saint Denis und übersiedelte um 1913 ins 15. Arrondissement an den Quai de Grenelle in die Nähe der Mors Automobilwerke.

 Im Jahr 1913 wurde die Firma zur „Société Anonyme des Engrenages Citroën“ umstrukturiert. Beteiligt war wiederum ein Mitglied der Familie Hinstin, Jacques Hinstin. Von da an arbeitete das Unternehmen weiter erfolgreich an verschiedenen Produkten, die mit den Zahnrädern in enger Verbindung standen. Auch zahlreiche Patente wurden in dieser Zeit angemeldet, so für Drehzahlmindergetriebe in den Jahren 1910 und 1913, sowie für verbesserte Steuerruderantriebe für Schiffe und U-Boote (1912 und 1914).32

 

3.5 Die Zeit bei den Mors-Automobilwerken

 Paul Haarbleicher, Bankier und gebürtiger Deutscher, dessen Tochter mit Hugues Citroën verheiratet war, war mit der Situation des Automobilfabrikanten Mors bestens vertraut. Seine Bank war Hausbank der „Société d`Electricité et d`Automobiles Mors“, und zudem war er auch noch Vorsitzender des Aufsichtsrates.33
 Mors wurde ursprünglich 1871 zur Nutzung eines Patentes der nördlichen Eisenbahngesellschaft, der Produktion von elektrischen Signalanlagen, gegründet. Um 1880 und 1890 begann man mit der Automobilherstellung, worauf man sich erst ab etwa 1900 spezialisierte. Diese beiden Aktivitäten wurden 1907 in zwei seperate Gesellschaften unterteilt.34

 „Mors hatte einst künstliche Blumen hergestellt, dann Elektroteile, 1896 wurde eine Automobilabteilung eingerichtet. (...) Die Firma Mors erlangte im Kielwasser von Panhard & Levassor einen guten Ruf durch ihre leistungsstarken Rennwagen und verkaufte ihre limitierte Produktion zu gehobenen Preisen.“35, heißt es in einer anderen Quelle.

 Mors` großvolumige Luxuswagen wurden durch sportliche Erfolge u.a. 1900 beim Rennen Bordeaux - Périgueux - Bordeaux oder beim 2. Gordon - Bennett - Preis, aber auch beim von mehreren Unglücken überschatteten Rennen Paris - Madrid 1903, bei dem u. a. auch Marcel Renault ums Leben kam36, in der Fachwelt bekannt. Mit den Rennerfolgen stieg auch die Zahl der verkauften Wagen. Als jedoch die Siege ausblieben und die Preise der Mors-Wagen nach wie vor hoch waren, gingen die Produktionszahlen drastisch zurück, bis sich auch einige hervorragende Ingenieure zur Konkurrenz absetzten.

 Die Gebrüder Mors wollten ihren Wohlstand sichern und das Unternehmen liquidieren. Haarbleicher aber bat seinen Bekannten André Citroën, einen Plan zur Rettung von Mors zu entwickeln. Im Dezember 1907 wurde ein erstes Dossier vorgelegt, jedoch von der Aktionärsversammlung abgelehnt. Im Februar 1908 startete man einen weiteren Versuch, welcher angenommen wurde. André Citroën wurde zum Generaldirektor ernannt und mit der Aufgabe betraut, Mors erfolgreich umzustrukturieren. Haarbleicher wurde zum Präsidenten gewählt. Citroën konzentrierte sich auf drei Bereiche: Mitarbeiter, Produktionsanlagen und Technik.

 Er stellte Louis Guillot ein, den er bei den Flugzeugbauern Morane kennenlernte und Georges Marie Haardt, welcher ihm von Henri Fournier (Sieger des Rennens Paris - Berlin 1902) vorgestellt wurde. Haardt war damals in Fournier`s Garage als Verkäufer angestellt. Weiters Felix Schwab (war ab 1919 in den Citroën-Werken tätig37) und Paul Vavon (Vavon war Unternehmer und ab 1916 bei Citroën tätig38) .39

 1912 gelang es André Citroën bei den Banken eine Umschuldung mit Hilfe von Atanik Eknayan zu erreichen, einem reichen Diamantenhändler armenischer Abstammung, einem Freund von Hugues Citroën und Haarbleicher, der ein Drittel der Verbindlichkeiten übernahm.

 Haardt ging ins Ausland, um dort Filialen zu gründen. Werbekampagnen wurden gestartet und Prospekte von professionellen Zeichnern gestaltet.

 Ein neues stabileres Chassis wurde entwickelt und alle Versionen mit ventillosen Knight Motoren ausgerüstet. Dieser Motortyp kam aus den Minerva-Werken, in denen sein Cousin David Citroën tätig war.

 Diese Modelle gingen als Mors SSS in die Geschichte ein. (Sans soupape sport). Die Produktionszahlen stiegen unter der Mitarbeit von André Citroën von 120 Wagen bis auf 1.200 Stück im Jahr 1914.40

 Diese Zahlen zeigen die erfolgte Wende bei Mors, vergleicht man sie jedoch mit dem Wachstum der gesamten europäischen, oder auch nur der französischen Autoindustrie, so erkennt man, daß Mors mit rund 1.200 Stück relativ unbedeutend war. Mit neuen Produktionsmethoden hoffte man jedoch noch viel erfolgreicher zu werden. Doch die politische Lage in Europa beendete diese Weiterentwicklung der zivilen Autoproduktion.

 


 

18 vgl. SCHRADER, 1989, S. 13 ff
19 vgl. FORD, 1923, S. 76
20 FORD, 1923, S. 76
21 vgl. ROBERTS, 1984, S. 103
22 vgl. SCHRADER, 1989, S. 47 f
23 SCHRADER, 1989, S. 53
24 vgl. SCHRADER, 1989, S. 54
25 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 47 ff
26 vgl. ebenda
27 vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 29
28 vgl. MIKLOWEIT, 1991, S. 8
29 vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 29
30 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 260
31 vgl. AUTOMOBILES CITROËN (Hrsg.): Almanach Citroën, Paris 1932, S.41, zit. in: SCHWEITZER, 1992, S. 118.
32 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 52 f
33 vgl. MIKLOWEIT, 1991, S. 8
34 vgl. Histoire Economique et sociale de la France, 1980, S. 305
35 SCHRADER, 1989, S. 27
36 vgl. SCHRADER, 1989, S. 20
37 vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 232
38 vgl. SCHWEITZER, 1992, S. 233
39 vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 62 ff
40vgl. WOLGENSINGER, 1992, S. 66 ff

 

 

    Fortsetzung folgt.
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